Der jüngste Entwurf für die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit fand bei den Mitgliedstaaten keine Mehrheit. Es ist damit unwahrscheinlich, dass die Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode kommt. Ein wichtiger Erfolg für VGSD und BAGSV..
Seit mehr als zwei Jahren wird verhandelt, seit mehr als zwei Jahren gibt es keinen Konsens: Die EU-Richtlinie zur Regulierung von Plattformarbeit steht möglicherweise vor dem Aus. Bei der Abstimmung am 16. Februar gelang es dem belgischen Ratsvorsitz nicht, eine Mehrheit für den zuletzt erarbeiteten Entwurf für die Richtlinie zu finden. Schon kurz vor Weihnachten war ein im Trilog ausgehandelter Entwurf in letzter Minute bei den Mitgliedstaaten durchgefallen.
Keine Kriterien mehr im Entwurf
Erst eine Woche zuvor hatten sich Unterhändler von Parlament, Kommission und Ratspräsidentschaft auf einen Kompromiss-Entwurf geeinigt. Bei dieser aus unserer Sicht “schlechtesten aller Lösungen” wurden die zuvor umstrittenen Kriterien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ganz weggelassen. “Weil man selbst daran gescheitert ist, rechtssichere Kriterien zu formulieren, schafft man nun neue Rechtsunsicherheit”, kommentierte VGSD-Vorstand Andreas Lutz.
Teil des Entwurfs war es, dass eine abhängige Beschäftigung vermutet wird, wenn Indizien auf eine Kontrolle der Mitarbeitenden vorliegen. Die Beweislast, dass dies gegebenenfalls nicht so ist, wäre bei den Plattformen gelegen. Die Mitgliedstaaten sollten verpflichtet werden, die widerlegbare Vermutung umzusetzen und dafür eigenen Kriterien aufzustellen – hierin lag ein entscheidender Unterschied zu allen vorigen Varianten: Da die Mitgliedstaaten sich nicht auf einheitliche Kriterien für die gesamte EU hatten einigen können, sollte dies in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt werden. Die Definition, was eine Plattform überhaupt ist, blieb weit und schwammig.
Dieser faule Kompromiss ist nun vom Tisch. “Leider wurde die erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht gefunden. Wir glauben, dass diese Richtlinie, die für diese Arbeitskräfte [Plattformarbeiter] ein wichtiger Schritt nach vorne sein sollte, es weit gebracht hat”, schrieb die belgische Ratspräsidentschaft in einem Beitrag auf der Kurznachrichten-Plattform X (früher Twitter).
Bei der Abstimmung war eine qualifizierte Mehrheit nötig gewesen, um den Entwurf anzunehmen. Dafür müssen mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, und diese müssen 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Zugleich sorgt eine Ablehnung oder Enthaltung von mindestens vier Mitgliedstaaten für eine Sperrminorität, also ein Scheitern der Abstimmung. In der Abstimmung über die Plattform-Richtlinie enthielten sich Frankreich, Deutschland, Griechenland und Estland – damit war der Entwurf durchgefallen. Dass die FDP eine deutsche Zustimmung zum Entwurf verhinderte, war damit entscheidend für das Scheitern der Abstimmung. Die Zukunft der Richtlinie hängt nun vom Verhalten Frankreichs ab, das Zünglein an der Waage ist.
Vergebliche Versuche, die FDP umzustimmen
Im Juni dieses Jahres wird das Europäische Parlament neu gewählt. Eine Einigung noch vor dem Beginn des Wahlkampfes erscheint unwahrscheinlich. In dem zitierten Tweet der belgischen Ratspräsidentschaft heißt es: “Wir werden nun die nächsten Schritte in Erwägung ziehen.” Was diese nächsten Schritte sein könnten, ist jedoch unklar. Das Portal Euractiv zitiert einen EU-Diplomaten: ” Ich habe absolut keine Ahnung, worauf diese nächsten Schritte hinauslaufen könnten.” Nach Einschätzung von Euractiv ist eher davon auszugehen, dass das Projekt auf die nächste Legislaturperiode verschoben ist – und fraglich, ob es dann noch einmal angegangen wird.
Bis zuletzt war unklar gewesen, ob sich die erforderliche Mehrheit doch noch findet. Nach Informationen von Euractiv war ein für den späten Vormittag geplanter “Rundgang”, bei dem nacheinander die Meinungen der Mitgliedstaaten eingeholten werden sollten, um mehrere Stunden verschoben worden. Dabei zeichnete sich ab, dass die Stimmen nicht ausreichen würden. Die Abstimmung fand dann nicht wie geplant um 12.30 Uhr statt, sondern um 15 Uhr. Dennoch war es der belgischen Ratspräsidentschaft nicht gelungen, noch eine Mehrheit für das Gesetz zu finden. SPD und Grüne versuchten vergeblich, die FDP umzustimmen.
“Angriff auf alle Selbstständigen in Europa”
Neben Frankreich kam der deutschen Enthaltung eine entscheidende Rolle zu. Eine deutsche Zustimmung zu dem Gesetz verhinderte die FDP, die sich von ihrem Veto von allen Versuchen der SPD und den Grünen nicht abbringen ließ. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, sagte dazu: ” Der Wirtschaftsstandort Europa steht im internationalen Wettbewerb unter Druck. Wir brauchen deswegen gute Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Wohlstand in Europa. Die EU-Plattformrichtlinie ist ein Angriff auf alle Selbständigen in Europa. Die Initiative der Kommission geht nicht zu weit, sondern einfach in die falsche Richtung. Selbstständigkeit ist ein zentraler und notwendiger Teil einer modernen Arbeitswelt. Es kann nicht sein, dass Selbstständige gegen ihren Willen zu Beschäftigten gemacht werden sollen. Daher ist es genau richtig, dass Deutschland wegen des Einsatzes der FDP dem im Rat nicht zustimmt.
Zwei Drittel aller Solo-Selbstständigen scheinselbstständig?
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, erklärte zur gescheiterten Abstimmung: “Die Enthaltung schadet erneut der Reputation Deutschlands. Mehr als 28 Millionen Menschen in Europa arbeiten über Plattformen wie Uber oder Lieferando, die Zahl steigt rasant an, bis 2025 könnte sie bei mehr als 40 Millionen Menschen liegen.” Damit zitiert Audretsch erneut die fragwürdigen Zahlen, die 2021 von der EU-Kommission in Umlauf gebracht wurden und seitdem unhinterfragt weitergetragen werden. Ein Fünftel aller Erwerbstätigen in der EU würde demzufolge im kommenden Jahr für Plattformen arbeiten. Derselben Quelle entstammt auch die Zahl von 5,5 Millionen möglichen Scheinselbstständigen, was umgerechnet auf Deutschland bedeuten würde, dass zwei Drittel aller Solo-Selbstständigen scheinselbstständig wäre. Auf die wacklige Grundlage dieser Zahlen hatten wir im vergangenen Jahr hingewiesen.
In Zukunft Selbstständige besser berücksichtigen
Im Hinblick auf die Interessen von Solo-Selbstständigen sind wir als VGSD und BAGSV froh, dass diese Version der Richtlinie keine Zustimmung gefunden hat. Die Verbesserung der rechtlichen Lage von Menschen, die für digitale Plattformen bei schlechter Bezahlung Arbeit unter Bedingungen verrichten, die eher einem Angestelltenverhältnis entsprechen, sollte nicht auf Kosten der Rechtssicherheit von freiwillig und gerne selbstständig Tätigen gehen.
“Wir hoffen, dass im Falle eines neuen Anlaufs Selbstständige und ihr Interesse an Rechtssicherheit stärker berücksichtigt werden als in den letzten zwei Jahren. Die verantwortlichen Sozialpolitiker in Brüssel und Berlin sollten gemeinsam mit uns nach Wegen suchen, um sozial Schutzbedürftigen zu helfen. Eine solche Richtlinie sollte auf einer breiteren Grundlage stehen”, sagt VGSD-Vorstand Andreas Lutz. Der VGSD und die BAGSV werden bei einer neuen Initiative zu dem Gesetz noch einmal auf alle Gesprächspartner der letzten zwei Jahre zugehen.
Fauler Kompromiss: Mit Beweislastumkehr und unklarem Plattform-Begriff sollen schwächste Punkte der Richtlinie bleiben
Nach obenIm Streit über die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit gibt es einen Kompromissvorschlag, auf den sich Unterhändler von EU-Parlament und Mitgliedstaaten am Donnerstag geeinigt haben. Der Deal könnte kommende Woche von den EU-Gremien offiziell beschlossen werden. – Oder abgelehnt: Darauf ruhen unsere Hoffnungen. Eine kleine Chance gibt es.
Quelle: VGSD